Article Zwischenzeit : Zwischenraum. Büroarbeit zwischen digital und analog.
Author André Schmidt und Joris Fach
In Office Pioneers. Ausblicke auf das Büro 2030. Visionen. Chancen. Herausforderungen.
Edition/Page 1. Edition, 2020, p. 50 - 53
Publisher Robert Nehring, Prima Vier Nehring Verlag GmbH, Berlin
Layout typegerecht berlin
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Copyright 2020, Prima Vier Nehring Verlag GmbH, Berlin
Zwischenzeit : Zwischenraum
Hybride Arbeitsumfelder zw. digital und analog
Wir arbeiten heute nicht nur zu Arbeitszeiten in dafür vorgesehenen Büros, sondern mindestens genauso hart in Zwischenzeiten und Zwischenräumen. Arbeitszeiten sind diffuser, Arbeitsorte entgrenzter als je zuvor. Wo Arbeit verrichtet wird, ist immer weniger physisch zu begreifen, allenfalls als kaleidoskopisches Abbild mehr oder minder alltäglicher Situationen, in denen Arbeit fragmentarisch verrichtet/geleistet wird.
Der erste Blick in die elektronischen Postfächer findet häufig schon zu Hause statt. Auch der Weg zur Arbeit ist soweit optimiert, dass er echte Arbeit zulässt – Telefonate, Lektüre, ToDo-Listen. Vor allem in diesen Zwischenzeiten und Zwischenräumen werden gerne alle verfügbaren Hilfsmittel verwendet, solange sie verlässliche Lösungen praktischer Probleme bieten. Und diese verfügbaren Hilfsmittel können beides sein, digital und analog.
Wer heute im Büro arbeitet, bedient sich in der Regel der digitalen Werkzeuge des Informationszeitalters, der schier endlosen Möglichkeiten und Facetten digitaler und virtueller Welten. Allerdings setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass das sog. Alte im Büro nicht einfach durch das sog. Neue ersetzt wird, sondern beides als Instrument und Grundlage einer immer vielfältiger werdenden Arbeitswelt immer erfolgreicher koexistiert. Altbekannte Werkzeuge, sowie informationstechnologische Neuerungen ergänzen sich in vielerlei Hinsicht erstaunlich gut.
Dies wird nirgends deutlicher als an den Rändern der sogenannten Kernarbeitszeit mit Anwesenheitspflicht. Gerade in dieser Grauzone, weit weg vom arbeitsphysiologisch optimierten Arbeitsplatz, vermischen sich die Handwerkszeuge ungeniert. Da ist die Notiz im Telefon so viel wert wie die auf der Rückseite des Briefumschlags.
6.59h – 7.28h
Arbeitsweg / Mobilität / Mobiles Büro
Arbeitsweg - das Mobiltelefon loggt ein, der elektronische Briefkasten gibt die tägliche Post frei, die ersten Emails werden gelesen, verpasste Anrufe durchgegangen, verschlafene Kollegen mit Rückmeldungen begrüßt. Die kommunikative Welle rollt schon in den Arbeitstag hinein, bevor das Büro überhaupt in Sichtweite ist.
Im Büro folgen Team-meetings, Telefone klingeln und vibrieren, Briefe werden geöffnet und gelesen, Schriftstücke unterschrieben und gescannt. Die technischen Möglichkeiten verschiedenster Endgeräte mit ihren Daten-Mutterschiffen zu kommunizieren sind praktisch und werden stets einfacher und schneller. Telekommunikation findet aber heute auf sehr vielen Kanälen gleichzeitig statt. Neben Telefon, Anrufbeantworter, Fax und Brief stehen uns heute unzählige eMail-, Chat- und Messanger-Apps zur Verfügung, die das Büro und damit Kunden und Kollegen allgegenwärtig machen. Die Menge und Geschwindigkeit des Informationsflusses haben massiv zugenommen, viele Arbeitskräfte fühlen sich damit immer häufiger überfordert.
Smarte Kommunikation ist in diesem Fall geordnete Kommunikation und zwar auf Papier, genauso wie auf dem Bildschirm. Austausch soll und kann zwar nicht insgesamt begrenzt, aber sehr wohl zeitlich eingegrenzt werden, damit vor lauter Kommunikation nicht die Arbeit selbst liegen bleibt. Die (digitalen) Kompetenzen dazu müssen erlernt und gefördert, (digitale) Disziplin eingehalten werden. Gerade für Letzteres gibt es Hilfsmittel, und zwar nicht nur die App, die einem in Randzeiten den Zugang zum Internet versagt. Intelligente Notizhefte etwa sind sehr nah daran, den Spagat zwischen Austausch und Konzentration zu schaffen. Sie sind empfänglich für schnelle oder ausführliche, für professionelle als auch persönliche Informationsaufnahme und können diese Informationen im Anschluss gezielt digital abrufen. Gleichzeitig öffnen sie der sprichwörtlichen Informationsflut nicht Tür und Tor, sondern wirken eher wie eine Informationsschleuse, die sich eben auch verschließen lässt.
“In Zeiten verstärkter Sensibilität für die Komplexität unseres Berufsalltags wird zeitgemäße Kommunikation vor allem geprägt sein von gesteuerter Unerreichbarkeit.“
Im Jahr 2020 ist Kommunikation also mitnichten von dauernder Erreichbarkeit gekennzeichnet, viel bezeichnender ist die gesteuerte Unerreichbarkeit. Wer es schafft sich über den Tag hinweg die nötigen kommunkationsfreien Zwischenzeiten zu schaffen und Herr der eigenen Erreichbarkeit zu bleiben, schafft sich auch die nötigen Zwischenräume um zu arbeiten.
9.19h – 9.31h
Informalität / Informelles Büro
Der Weg zum eigenen Schreibtisch führt nicht selten an der Kaffeemaschine vorbei. Und ist arbeitsökonomisch gesehen von unterschätzter Intensität. Schon am Empfang und im Lift oder Korridor können - sprichwörtlich – im Vorübergehen große Mengen an Informationen ausgetauscht werden. Mit dem Kaffee in der Hand wird die Druckerecke schnell zum improvisierten Besprechungsort, der Wasserspender zum Whiteboard, das Smartphone zur Leinwand und Video-Konferenz.
Wenn wir im Übrigen von zeitgemäßen Büroräumen sprechen, haben wir schnell eine bunte und latent infantile Bürolandschaft vor Augen, die mehr nach Spiel- als nach Arbeitsplatz aussieht. Ganz falsch ist das nicht, denn in vielerlei Hinsicht sind die physischen Räumlichkeiten von Büros über die Jahre wirklich bunter geworden. Wichtiger als die Farbigkeit sind aber die raumtechnischen Qualitäten unter der Oberfläche. Die räumlichen Spezialisierungen stehen der fortschreitenden Digitalisierung unserer Arbeitsweisen in nichts nach. Arbeitsstättenrichtlinien schreiben steigende Mindestwerte für Akustik, Belichtung, Belüftung und Sitzkomfort vor, die Eingabe, Steuerung und Rückmeldung der Büroraumhardware wird komplexer, bedingt entsprechende Nutzerkompetenzen, oder wird in weiten Teilen automatisiert, bis hin zum Papierkorb, der von alleine meldet, dass er voll ist und geleert werden möchte.
Auch der arbeitende Mensch ist anspruchsvoller geworden. Die Erwartungen an technische Grundausstattungen haben sich vielerorts so sehr erhöht, dass immer mehr Räume zielgerichtet ausgestattet werden müssen. Zudem können individuelle Arbeitsweisen - bei gleicher Effizienz - sehr unterschiedlich ausfallen und bedürfen immer häufiger auch personalisierbarer Angebote, die weit über die freie Wahl des Schreibtischstuhls, der Tischhöhe und des Kaktus am Fenster hinausgehen.
Zonenkonzepte bieten in modernen Büros unterschiedliche räumliche Rahmenbedingungen für Meetings, Kommunikation, konzentriertes Arbeiten, Präsentationen, Teamwork und vieles mehr. Wie kleine Biotope bieten diese Bürobereiche besonderen Gruppen von Mitarbeitern einen spezifischen Arbeits(lebens)raum, sowie Raum für die eingangs genannten und häufig unterschätzten Zwischenräume wie die Druckerecke. Das Büro wird zum Archipel kleiner Welten und greift damit ein Bürokonzept aus den 1960er Jahren wieder auf, das damals schon die rigide Ordnung und Kontrolle in Großraumbüros durch strukturelle Unordnung in eine flexible Landschaft unterschiedlicher Territorien verwandelte.
Hochgerüstete Besprechungssäle werden durch gänzlich technik-freie Zwischenräume verbunden. Beide Räume sind unersetzlich, der Besprechungssaal für die Besprechung, der Gang davor für das lockere und klärende Gespräch danach. Um das Bild der bunten Bürolandschaft zu bemühen: Nicht alles braucht seine Farbe, aber alles braucht seinen (Zwischen-)Raum.
13.01h – 14.21h
Gesundheit / Gesundes Büro
Als Ausdruck der Flexibilisierung unserer Arbeitsbedingungen ist die selbstbestimmte Mittagspause sicher ein prägnantes Beispiel. Fließende Arbeitszeiten und Homeoffice sind sicherlich zwei weitere. Dass die vermeintlich angenehme Verschiebung vom Schreib- an den Küchentisch auch zahlreiche Nachteile hat, ist mittlerweile allerdings auch weithin bekannt. Mit dem steigenden Bewusstsein für körperliches und seelisches Wohlbefinden lautet eine mögliche Entsprechung zur vielzitierten Lebensweisheit “work hard, play hard” im Jahr 2020 eher “work well, be well”. Die vieldiskutierte Work-Life-Balance wird täglich neu kalibriert. Überstunden wollen abgebaut oder gleich vermieden werden. Jeder Einzelne hat individuelle Bedürfnisse, persönliche Verpflichtungen, Rhythmen und Abläufe, die den Büroalltag zunehmend individualisieren. In Stein gemeißelte Arbeitszeiten nach Stechuhr sind entsprechend selten geworden und werden immer weniger akzeptiert.
“Die schwer greifbare Büroatmosphäre wird immer bewusster und professioneller entworfen, samt aller Nischen und Zwischenräume”
Immer mehr Arbeitgeber gestalten daher nicht nur den physischen Arbeitsplatz selbst nach ergonomischen Gesichtspunkten, sondern auch die weichen Komponenten der Arbeitsumgebung mit zunehmendem Bedacht. Die schwer greifbare Büroatmosphäre wird immer bewusster und professioneller entworfen. Physische Ausdrücke davon sind das Café (im Büro) als Zwischenraum für Professionelles und Privates, sowie das firmeneigene Fitness-Center. Weiterbildung der Mitarbeiter wird wortwörtlich mit Training gleichgesetzt. Agiles Management, aber auch neue Konzepte zur internen räumlichen Büroorganisation dienen dem Zweck Mitarbeiter zu motivieren. Man fühlt sich offensichtlich wohl in der Zwischenzone zwischen Arbeitsplatz und trautem Heim. Nicht private, aber immer privatere Räume lassen Arbeit daher weniger nach Arbeit aussehen, denn wer sich wohlfühlt, arbeitet besser.
17.43h – 18.02h
Organisation / Organisiertes Büro
Organisation - Am Ende des Arbeitstages, Übersicht herzustellen und Informationen zu bündeln ist das, was häufig liegen bleibt. Dies gilt gleichermaßen für die analoge, wie digitale Ordnung. Tatsächlich sind bereits viele alltägliche Arbeitsprozesse in die Datenwolken hinein verlegt worden, wo sie sich – vermeintlich – von alleine ordnen. Nachdem digitale Smartness euphorisch begrüßt wurde, zeigt sich inzwischen aber, dass analoge Prozesse und Produkte oft gar nicht so schlecht waren. Es gibt zudem ein verstärktes Bewusstsein für die Komplexität unseres Berufsalltags sowie das bewusste Bestreben sich trotz Informationsflut Übersicht zu verschaffen und auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Hier können digitale Lösungen hilfreich, mitunter aber auch hinderlich sein.
Und wenn schon die eigentliche Ordnung liegen bleiben muss, weil man im Geiste das Büro schon längst verlassen hat, ist es häufig eine strukturierende Erinnerung oder Notiz, die uns den Wiedereinstieg in die Arbeit erleichtert. Verschiedene digitale Dateiformate zu bündeln oder überschaubar zu machen kann sich beispielsweise als sehr umständlich erweisen. Dagegen steht die Büroklammer sinnbildlich für eine analoge Musterlösung. Lose Blätter werden von ihr problemlos zusammengefasst, selbst wenn sie aus verschiedensten Quellen stammen. Mit der Dicke des Stapels, der Qualität des Papiers, der Dokumentformate und -farben ist auch der sekundäre Informationsgehalt der Sammlung auf einen Blick ersichtlich. Die Reihenfolge des Bündels ist mit wenigen Handgriffen veränder- oder erweiterbar. All das schafft Übersicht.
Dieser direkte, taktile Umgang mit Information hat natürlich enge Grenzen, ist nicht skalierbar und für Big Data schon gar nicht zu gebrauchen. Allerdings ist er für den Einzelnen häufig wesentlich effizienter und kann auch das digitale Arbeiten strukturieren, indem technische Aspekte minimiert und inhaltliche maximiert werden. Die Büroklammer oder der Post-It am Bildschirm ist – im Zusammenspiel mit einigen Terrabyte an Information auf fernen Datenservern – als Zwischenlösung vielleicht doch effizient.
Solche Beispiele alltäglicher Arbeitsgestaltung lassen die Zwischenräume und Zwischenzeiten heutiger Büroarbeit deutlich werden. Arbeiten in hybriden Situationen zwischen privat und professionell, digital und analog ist sicherlich das, was wir in Zukunft in immer stärkerem Maße tun werden. An verschiedenen Orten, sowie den Wegen zwischen diesen Orten präsent und produktiv sein zu können wird eine zentrale Herausforderung sein. Die räumlichen Knotenpunkte dieses Arbeitsnetzes wie Schreibtisch, Konferenzraum, Küchentisch und Kaffeemaschine müssen um entsprechende Vorräume erweitert werden, die Arbeit schon beim Ankommen und Aufbrechen ermöglichen und unterstützen. Aus planerischer Sicht braucht es dafür keine dogmatischen Lösungen, sondern vor allem Zwischenlösungen.
Texte basierend auf der Publikation “Smart Solutions/Büro der Zukunft, Publikation zur paperworld, Internationale Frankfurter Messe, mit freundlicher Genehmigung der Messe Frankfurt Exhibition GmbH.
Bild Nr. 1: mit freundlicher Genehmigung von Florian Lonicer
Bild Nr. 2: mit freundlicher Genehmigung der Messe Frankfurt Exhibition GmbH
Article Zwischenzeit : Zwischenraum. Büroarbeit zwischen digital und analog.
Author André Schmidt und Joris Fach
In Office Pioneers. Ausblicke auf das Büro 2030. Visionen. Chancen. Herausforderungen.
Edition/Page 1. Edition, 2020, p. 50 - 53
Publisher Robert Nehring, Prima Vier Nehring Verlag GmbH, Berlin
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