Titel Das Smarte Büro
Herausgeber Messe Frankfurt Exhibition GmbH
Paperworld, Ludwig-Erhard-Anlage 1, 60327 Frankfurt am Main
Konzept MATTER Schmidt Fach Architekten und Stadtplaner PartGmbB
Gestaltung Julia Neller
Redaktion/Text Ludwig Engel, Stefan Carsten, Joris Fach, André Schmidt
Übersetzung Alan Connor, alcon-translate
Druck Messe Frankfurt Medien und Service GmbH
Copyright Messe Frankfurt Exhibition GmbH 2019
Smart Solutions
„Smart Solutions“ sind möglichst intelligente Lösungen praktischer Probleme. Auf der Sonderschau der Paperworld 2020 wird das Thema „Smart Solutions“ durch altbekannte Arbeitsmittel, sowie informationstechnologische Werkzeuge neu beleuchtet. Es werden analoge und digitale Lösungen präsentiert. Altes wird nicht einfach durch Neues ersetzt, sondern beides als Instrument und Grundlage einer immer vielfältiger werdenden Arbeitswelt diskutiert.
Wer heute in Bezug auf den Büroalltag von “Smart Solutions” spricht, meint allerdings meistens zunächst einmal die digitalen Werkzeuge des Informationszeitalters. Und in der Tat: wir habe unsere Arbeitsprozesse ein ganzes Stück weit in die virtuelle Welt der Computer und Datenwolken verlegt. Prozesse wurden entmaterialisiert und damit auch zu einem gewissen Grade unsichtbar.
Als Reaktion darauf zeichnet sich ein verstärktes Bewusstsein für die Komplexität unseres Berufsalltags ab, sowie der Wusch, sich bei aller Informationsflut auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Hier können digitale Lösungen hilfreich, aber eben auch hinderlich sein. Ein praktisches Beispiel: Verschiedene Dateiformate zu bündeln erweist sich zuweilen als sehr umständlich, wohingegen die Büroklammer sinnbildlich für eine analoge „smart solution“ steht. Lose Informationsträger verschiedenster Quellen können problemlos zusammengefasst, der sekundäre Informationsgehalt – dicke des Stapels, Qualität des Papiers, Dokumentformate – auf einen Blick erfasst, die Reihenfolge des Bündels mit wenigen Handgriffen verändert oder erweitert werden. Das schafft Übersicht und ist smart.
Dieser direkte, taktile Umgang mit Information hat natürlich enge Grenzen, ist nicht skalierbar und für big data schon gar nicht zu gebrauchen. Dafür gibt es dann wieder andere smart solutions. Die Sonderschau kommentiert Neuerungen in beiden Bereichen, smarte analoge Werkzeuge, smarte digitale Lösungen, und solche, die zwischen beiden Welten vermitteln.
1. SPACE
Büro vs. Heimarbeit
Als die Technologisierung und Digitalisierung ökonomischer Prozesse in den 1980er Jahren langsam Fahrt aufnahm, wurden bestehende räumliche Konzentrationen sofort in Frage gestellt: Leben wir unter diesen neuen Bedingungen zukünftig noch in der Stadt? Brauchen wir noch Orte der Arbeit? Findet – dank Informations- und Kommunikationstechnologie – in Zukunft nicht alles überall gleichzeitig statt? Heute wissen wir, dass sich diese Visionen nicht unbedingt ins Gegenteil verkehrt hat, sich jedoch gänzlich anders entwickelte, als gedacht. Ja, wir arbeiten zu Hause. Und trotzdem arbeiten wir auch im Büro. Und wenn wir abends nach Hause kommen, arbeiten wir einfach weiter. Arbeitsorte grenzen sich immer weniger voneinander ab. Der Übergang von einem zum anderen ist fließend. Während das Büro die Basis ist, die ein optimales Arbeitsumfeld bietet, um die Abläufe und die Kommunikation des Alltags bestmöglich zu spiegeln, könnte man das Home Office als das unterstützende Büro beschreiben, das sowohl Entlastung als auch Erweiterung bietet. Hinzu kommen noch die Orte und Räume, die die notwendigen Verbindungen beider Büros darstellen. Das Auto. Das Café. Der Park. So viele Telefonkonferenzen finden schon heute hier statt, obwohl die Bedingungen alles andere als optimal sind.
Smart ist, zukünftig die Verbindung all dieser Orte als Abbild der gelebten Arbeitsräume zu begreifen, die unterschiedliche Anforderungen an die Büronutzerinnen und -nutzer stellen und einfordern.
Mein Schreibtisch vs. Schreibtisch-Pool
Immer mehr Firmen stellen ihre räumliche Büroorganisation auf flexible Arbeitsplätze um. Natürlich geht es dabei nicht nur um die Aktivierung der Angestellten sich agiler mit Kollegen zu vernetzen, sondern auch um die Reduzierung der Bürofläche und somit Einsparung von Kosten. Da es immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt, die nicht jeden Tag im Büro sind, muss das Büro auch nicht mehr so groß sein, dass alle darin Platz finden. Die meisten Arbeitgeber folgen also lediglich der flexiblen Ausgestaltung der Büroräume, um in (wirtschaftlich) sicheren Zeiten ein freieres Verständnis von miteinander Arbeiten, von Abwechslung und Flexibilität zu fördern (und zu fordern). Dabei hat auch ein fixer Arbeitsplatz nach wie vor Vorteile: In unsicheren Zeiten ist ein sicherer physischer Arbeitsplatz im bewährten Umfeld von bekannten Gesichtern eine Insel der Gewissheit, die mit der Möglichkeit einer gewissen Personalisierung einhergeht (es entstehen sog. „Schreibtischbiotope“). Gleichzeitig zeigt sich im Drang nach Flexibilisierung immer häufiger die soziale Fallhöhe des Arbeitsumfelds. Desk-Sharing im Großraumbüro führt eher zu Ablenkung, Misstrauen und abnehmender Kooperationsbereitschaft unter Kolleginnen und Kollegen. Smart ist dagegen eine gute Mischung aus eigenen Arbeitsplätzen und offenen Arrangements, die unterschiedlich genutzt und verwendet werden können. Und solange sich noch die Hierarchie in der Büroorganisation widerspiegelt, wird die Akzeptanz für zusätzliche Flexibilität nicht besonders hoch sein. Nur wenn die Chefs flexibel arbeiten, machen das auch die Angestellten. Und umgekehrt.
Wegeleitsystem vs. Navigationssystem
Heute nutzen ca. 70% eine Navigationsapp des Smartphones zur Orientierung in der Stadt. Ohne GoogleMaps, Apple Maps oder Waze ist ein Leben im Alltag zwar noch möglich, für viele aber anscheinend schon (fast) undenkbar geworden. Immer häufiger können Navigationsapps schon in Gebäuden wie Flughäfen, Fußballstadien oder Einkaufszentren helfen, wo sich sonst schnell Orientierungslosigkeit einstellt. Wird die Navigation per Smartphone in Zukunft auch in Büros Einzug halten? Bisher herrschen hier noch klassische, statische Wegeleitsysteme vor. Zwar können Räume online reserviert werden, aber ein Konferenzraum bleibt Konferenzraum, der buchbar oder nicht-buchbar ist. Eine Nutzungsänderung des Raums an sich ist dabei nicht vorgesehen. Da Büros inzwischen aber zu einer Ansammlung von temporären Spezialräumen und -zonen geworden sind, ist eine transparente, tageszeitabhängige Zuordnung von Raumnutzungen unabdingbar. Smart ist eine In-House Navigation, wenn sie on-the-go funktioniert. Dann wird nämlich das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer abgebildet: Aus der Küche wird schnell der Konferenzraum, aus der Bibliothek der Eventraum und aus der Rezeption die Bar für den After-Work-Drink. Das lässt sich per Smartphone besser regeln, als wenn man überall im Büro ständig neue Zettel mit Pfeilen klebt.
Büroraum vs. Funktionszonen
Das normale Büro ist völlig okay. Trotzdem ist es vom Aussterben bedroht. Chillout-Zone, Spiel-Areal, Telefonkabine, Konferenz-Space, Silent-Room und natürlich der Meeting-Point. Jeder Funktion einen eigenen Raum. Jedem Raum eine designierte Funktion. Die Zeit am eigenen Schreibtisch wird logischerweise immer kürzer, der Aufenthalt in den Funktionsräumen immer länger. Insgesamt aber reduziert sich die Zeit in jeder dieser Raumeinheiten. Der Büroalltag ist somit eine Summe aus unterschiedlichen Aufgaben in unterschiedlichen Räumen. So war es früher auch schon, nur waren die Funktionsräume nicht spezifisch (möbliert) und vor allem undogmatisch(er) bezeichnet. Ist der spezifische Funktionsraum also nur die eine Seite der Medaille und das Allzweckbüro die andere? Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte: Viel hängt von den Vorstellungen über zukünftige technische Entwicklungen ab. Für Elon Musk (TESLA und SpaceX) zum Beispiel ist die Vision klar: Mit seiner Firma Neuralink plant er die Verknüpfung des menschlichen Gehirns mit künstlicher Intelligenz. Dann braucht es nur noch eine funktionierende Schnittstelle, um effizient die Tagesaufgaben abzuarbeiten. Dies wäre dann der Inbegriff eines allumfassenden Spezialraumes. Aber ganz ehrlich, ist das dann smart? Smart ist doch vielmehr, wenn wir überall eine Schnittstelle nutzen könnten, die den Zugriff auf die benötigten Informationen und Daten jederzeit und an jedem Ort ermöglicht – egal ob beim Tischfußball oder in der Telefonkabine.
2. WELLBEING
Sitzen vs. Stehen, Liegen, Laufen
Mit 10.000 Schritten pro Tag wird die Gesundheit des Menschen erheblich verbessert. Das ist ganz schön viel. Wer soll bei dem ganzen Gelaufe denn dann die ganze Arbeit wegschaffen? Zum Glück handelt es sich bei den 10.000 Schritten um einen Mythos aus der Werbung, die im Vorfeld der olympischen Sommerspiele in Tokio im Jahre 1964 die Hauptstadtbewohner zu mehr Bewegung, nun ja, bewegen sollte. Doch aktuelle Studien setzen die Zahl auch nur etwas niedriger an: So zwischen 6.000-8.000 Schritte bedarf der gesunde Körper am Tag. Im Durchschnitt gehen Büroangestellte übrigens nur 1.500 Schritte am Tag. Schließlich sitzen sie den halben Tag in Meetings, am Schreibtisch, beim Essen, beim Pendeln im Auto oder vor dem smarten TV zu Hause. Über 60 Millionen Fehltage gibt es allein in Deutschland wegen Rückenbeschwerden. Dabei ist Abhilfe einfach möglich: Sitzen, Stehen, Liegen, Laufen. In der Abwechslung liegt die heilende Kraft für den Rücken. Und dies ist dank sensorischer Überwachung und individueller Anforderungen immer leichter möglich. Die Smartwatch trackt unsere Schritte und liefert uns jederzeit Bericht über unser Bewegungsprofil. Leider lassen wir uns aber nur allzu ungern überwachen. Smart ist in diesem Fall, wer es trotzdem tut.
Raumklima vs. Mikroklima
Der Klimawandel macht sich immer stärker auch im Gebäudemanagement bemerkbar. Gebäude mit immer mehr Glas und weniger Verschattung in Kombination mit einer Zunahme der Sonnen- und Hitzetage sowie der Anstieg der Durchschnittstemperatur führen zu besonderen Herausforderungen, um in Büroräumen ein arbeitsfreundliches Klima herzustellen. Stellen Sie sich nun vor, in Zukunft würde aber gar nicht mehr das Gebäude klimatechnisch versorgt werden müssen, weil sie das selbst übernehmen: Ihre eigene Klimadrohne begleitet sie ständig von Raum zu Raum, von Besprechung zu Besprechung. Auf diese Weise hätten sie immer und überall das perfekte Klima, nicht im Raum, sondern am Körper. Der Vorteil wäre, dass jeder Teilnehmer einer Besprechung immer das persönlich präferierte Klima um sich hätte und nicht, wie sonst üblich, eine bauliche Klimatisierung, die zwar auf hitzige Besprechungsatmosphären reagiert, aber nicht auf individuelle Präferenzen. Vorbei wären die Zeiten, in denen nach einer intensiven Besprechung die Luft im Raum steht, es ständig Ärger übers Lüften oder Heizen geben würde. Und da der Klimaroboter auch vor der Tür funktioniert, würden noch nicht mal mehr beim Rauchen die Finger abfrieren. Neben diesen Utopien mutet der smarte Bürostuhl schon deutlich konkreter an. Zu den üblichen ergonomischen Finessen bietet der Stuhl Ventilatoren und Heizelemente und kommuniziert über WLAN oder Bluetooth mit der zentralen Klimaanlage, um entsprechend schnell auf veränderte klimatische Anforderungen reagieren zu können. Die smarte Folge ist eine effiziente und damit kostensparende Klimatisierung und viel Spaß bei der Justierung und Steuerung der Ventilatoren zur Überbrückung einer enervierenden Sitzung.
Schallschutz vs. Kopfhörer
Wenn jemand EarPods (zum Beispiel Apples AirPods) im Büro trägt – was im Übrigen vor allem in Großraumbüros immer häufiger passiert – gibt es dafür mehrere Gründe. 1. eine Telefonkonferenz, 2. Musik- oder Podcasthören, 3. Vorgeben 1. zu tun, um in Ruhe gelassen zu werden, 4. Vergesslichkeit. Gerade der Fake-Call (3.) tritt immer häufiger auf, weil das Gewusel im Büro – permanent unter Beobachtung stehen, permanent unter Strom stehen – anstrengend und für intellektuelle Tätigkeiten unproduktiv ist. AirPods machen heute das, was jahrzehntelang die Aufgabe von Bürowänden war: eine (private) Atmosphäre der Abgeschiedenheit zu schaffen. Heute, im wandlosen Großraumbüro scheint ein Arbeitsalltag ohne schnurlose Kopfhörer für einige schon nicht mehr vorstellbar: “We moved from offices to an open plan two years ago, and wireless headphones are why I haven’t quit,” so zum Beispiel ein Angestellter einer Medienfirma in New York.
Dass die akustische Belästigung auf diese Weise in den Griff zu kriegen ist, ist das eine Ergebnis, dass die Bereitschaft zur Kollaboration, zum Face-to-Face Austausch mit dem Auftreten von Großraumbüros rapide gesunken ist, das andere. Und das ist jetzt wirklich interessant: Die Gründe für den rasanten Anstieg wurden immer mit den Anforderungen moderner Arbeitsgesellschaften verbunden: Interdisziplinarität, Kommunikation, Teamwork. Doch gerade Kollaboration und Kommunikation funktioniert(e) in Zeiten von Einzel- oder Doppelbüros besser. Im Großraumbüro kommt noch die visuelle Belastung hinzu. Googles Brille kann zwar eine zusätzliche digitale Informationsschicht auf den Büroalltag applizieren, Sichtschutz biete sie aber nicht. Vielleicht sind analoge Wände im digitalen Zeitalter manchmal doch ziemlich smart.
Pausenbrot vs. Büro-Buffet
„Essen ist was für Weicheier“, so Gordon Gekko 1987 im Hollywood-Blockbuster Wall Street. Damit prognostizierte der knallharte Banker gerade für Nordamerika erstaunlich gut einen heute immer noch gültigen Trend. Vor allem für Büroangestellte kommt das Mittagessen eher einem Fütterungsritual als einer Speisezeremonie gleich. Kein Wunder, wenn Studien zufolge zwischen 50-60% der US-amerikanischen Angestellten eher am Schreibtisch essen und vor allem allein. Die Am-Schreibtisch-Esser nehmen in der Regel zunächst einmal kleinere, wenig nahrhafte Speisen zu sich und versuchen dies, im Laufe des Tages mit Süßigkeiten oder sonstigen Snacks zu kompensieren. Die Zufriedenheit am Arbeitsplatz sinkt so dramatisch im Vergleich zu Angestellten, die mit Kolleginnen und Kollegen essen, dabei Small Talk führen und dann (in der Regel motiviert) an den Arbeitsplatz zurückkehren. Auch die Folgen für Schreibtisch und Rechner sind wohl den meisten Leserinnen und Lesern bekannt: Krümel, Spritzer und Essensreste, die mit fettigen Fingern von Tastatur und Unterlagen entfernt werden wollen. Vor diesem Hintergrund ist es ungleich smarter, dass immer mehr Büros mit hochwertigen Küchen ausgestattet werden. Manchmal versorgen sogar Köche die Angestellten mit kulinarischen Freuden für jeglichen Geschmack. Im Silicon Valley hingegen gehen die Effizienzpraktiken der Start-Up’ler inzwischen soweit, dass durch Gemüseshakes und Vitaminpräparate, die über den Tag verteilt eingenommen werden, beim Erhalt von maximaler Leistungsfähigkeit überhaupt keine Zeit mehr für das Essen „verloren“ wird. Ob das so smart ist?
3. COMMUNICATION
Analog vs. Digital
Eine Beobachtung aus einer der aktuell innovativsten Büroatmosphären, dem Design Lab von Google im Silicon Valley: lichtdurchflutete Räume mit unzähligen Stehtischen für Gespräche, Diskussionen und Präsentationen. An den Wänden und auf den Tischen liegen und hängen Designvarianten, Materialproben, Farbspektren. Workshopräume und Galerien sind mit Materialbibliotheken zum Vergleichen, Verändern, Anpassen ausgestattet. Überall Bücherwände, die sowohl Designklassiker als auch aktuelle Inspirationen bereithalten. Das Physische triumphiert hier über das Digitale. Vielleicht ist das auch kein Wunder, wenn die daraus entstehenden Produkte wie der Google Assistant einmal Millionen Eigenheime und Büros zieren sollen, sich also ständig messen müssen im Designwettkampf der Gerätschaften. Und doch ist es interessant, dass im Design Labor der wichtigsten Digitalfirma der Gegenwart, so gut wie alles erst einmal analog abzulaufen scheint. Laptops, Monitore, Handys sind kaum bis gar nicht zu sehen. Der Austausch, die Diskussion, der Kontakt mit und durch den Designer machen den Unterschied. Smart bedeutet hier, Materialität, Zugänglichkeit, Offenheit. Smart sind hier bei Google aber auch die sogenannten Human Refueling Stations: Rauminstallationen zum Rückzug und zum Meditieren, um wieder aufzuladen, den Kopf frei zu bekommen und die Gedanken zu fokussieren, unterlegt mit individualisierbaren Sound- und Lichtdesigns. Vielleicht übertrieben aber für die Nutzerinnen und Nutzer anscheinend sehr bekömmlich.
Archiv vs. Datenraum
Früher gab es Archive mit kilometerlangen Regalen, heute Serverräume. Und während die Regale irgendwann einmal voll sind, sind die Speicherkapazitäten des digitalen Zeitalters schier unendlich: Bis 2025 könnte sich das weltweite Datenvolumen noch einmal verzehnfachen, auf dann 163 Zettabyte. Das ist eine 163 mit 21 Nullen! Auch wenn wir dieser Prognose nicht blind vertrauen sollten (vielleicht eher in Richtung 22 Nullen?), wird deutlich, dass sich die Perspektive auf das Archiv grundlegend verändern wird. Wenn man das Archiv nach Foucault als das „Spiel der Regeln“ bezeichnet, so muss dieses Regelwerk durch das Aufkommen von digitalen Archiven neu definiert werden. Die digitale Verarbeitung von Daten erfordert eine neue Logik beziehungsweise ein neues Konzept des Archivs, nämlich eins, das Daten als Information aufrechterhält. Man könnte auch sagen, Daten sind nur relevant, wenn die darin verfügbare Information jederzeit auffindbar ist. Doch ein Archiv ist auch ein Ort stetiger Transformation von Wissen: sei es durch Verfall, Vergessen oder Zerstörung. Wurden bisher Archiven die drei grundlegenden Aufgaben des Ansammelns, Archivierens und Präsentierens zugeschrieben, bieten heutige Technologien und Entwicklungen die Möglichkeiten des Vernetzens, der Kollaboration und des Verteilens — und während Archive bisher eher verschlossene und Fachpublikum vorbehaltene Orte waren, könnten neue Technologien auch für deren Öffnung für die breite Öffentlichkeit sorgen. Das ideale Archiv der Zukunft bereitet Inhalte so auf, dass ein Zugriff für Nutzerinnen und Nutzer jederzeit zu jedem Zweck möglich ist. Und das ist dann smart. Das gibt es so heute leider noch recht selten.
Flipchart vs. Smartboard
Das Flipchart ist eine Allzweckwaffe, die noch nicht mal durch das Smartboard verdrängt worden ist. Auch wenn sich gefühlt jede(r) NutzerIn schon mal die Finger beim Aufhängen der neuen Papierrolle eingeklemmt hat, ist das Ergebnis eines vollständig mit Flipchart-Blättern zugehängten Seminarraumes doch einzigartig. Allein dafür ist das Smartboard keine Alternative. Aber für andere Dinge: Keine Papierverschwendung, direkter Transfer zum Computer, Zugriff für alle Teilnehmer und ein digitales Archiv. Nahezu jedes Büro (und inzwischen auch fast jedes Schulzimmer) hat heute bereits ein Smartboard. Auch wenn so einige Boards durch Permanent-Marker verunstaltet wurden und das eine oder andere wohl auch deswegen nur in der Ecke rumsteht, sind sie aus dem Büroalltag nicht wegzudenken. Analog und digital passen heute und in Zukunft perfekt zusammen. Das bestätigen auch aktuelle Erkenntnisse der Kognitionsforschung: Wir Menschen lernen über alle Sinne. Wer sich also beim Lernen oder der Projektarbeit künstlich beschränkt, ist tendenziell benachteiligt. Smart ist also, wer nicht nur redundante Systeme hat und diese auch nutzt, je nach Kontext und Wissensstand, sondern sich nicht auf ein Medium beschränkt. Gute Ergebnisse werden dann erzielt, wenn das ganze Portfolio an Medien und Materialien zum vollen Einsatz kommt.
Flurgespräch vs. Telefonkonferenz
Mit den Pixar Headquarters entwickelte Steve Jobs den Prototypen eines Büros, das sich in seiner räumlichen Ausgestaltung vor allem an der Förderung von Möglichkeiten der zufälligen Begegnung orientierte. Bis heute gilt Pixar als eine der kreativsten Firmen, deren Erfolg zu einem wesentlichen Teil der Architektur zugeschrieben werden kann. Auch Steve Jobs’ Vermächtnis – das vor rund 1,5 Jahren eröffnete Apple Hauptquartier – hat diesen Ansatz als Leitmotiv verinnerlicht. Der Infinite Loop (Endlosschleife), mit einem 12 Hektar großen Park im Inneren des Loops, kann als eine Wandelhalle gelesen werden, um spontane Begegnungen und gemeinsame Fußwege zu ermöglichen. Der positive Effekt dieser zufallsgesteuerten Kommunikation wird mittlerweile auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt. Wo finden heute entscheidende Durchbrüche, wichtige Ideen oder Innovationen statt? Nicht am Mikroskop oder vorm Computer, sondern am Konferenztisch, am Getränkeautomaten und im Flurgespräch. Direkte Kommunikation und Austausch über Projekte entstehen also über spezifische räumliche Settings, die zufällige Begegnungen ermöglichen. Neben Kommunikationsräumen brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber auch Freizeit, die zum Austausch zur Verfügung steht. Wenn immer mehr Meetings anberaumt werden, unterstützt das ein spontanes Zusammentreffen eher nicht. Smart ist also, wenn alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die räumlichen und zeitlichen Möglichkeiten eingeräumt bekommen, sich in unvorhersehbaren Räumen zu ebensolchen Zeiten treffen zu können.
Titel Das Smarte Büro
Herausgeber Messe Frankfurt Exhibition GmbH
Paperworld, Ludwig-Erhard-Anlage 1, 60327 Frankfurt am Main
Konzept MATTER Schmidt Fach Architekten und Stadtplaner PartGmbB
Gestaltung Julia Neller
Redaktion/Text Ludwig Engel, Stefan Carsten, Joris Fach, André Schmidt
Übersetzung Alan Connor, alcon-translate
Druck Messe Frankfurt Medien und Service GmbH
Copyright Messe Frankfurt Exhibition GmbH 2019
Smart Solutions
„Smart Solutions“ sind möglichst intelligente Lösungen praktischer Probleme. Auf der Sonderschau der Paperworld 2020 wird das Thema „Smart Solutions“ durch altbekannte Arbeitsmittel, sowie informationstechnologische Werkzeuge neu beleuchtet. Es werden analoge und digitale Lösungen präsentiert. Altes wird nicht einfach durch Neues ersetzt, sondern beides als Instrument und Grundlage einer immer vielfältiger werdenden Arbeitswelt diskutiert.
Wer heute in Bezug auf den Büroalltag von “Smart Solutions” spricht, meint allerdings meistens zunächst einmal die digitalen Werkzeuge des Informationszeitalters. Und in der Tat: wir habe unsere Arbeitsprozesse ein ganzes Stück weit in die virtuelle Welt der Computer und Datenwolken verlegt. Prozesse wurden entmaterialisiert und damit auch zu einem gewissen Grade unsichtbar.
Als Reaktion darauf zeichnet sich ein verstärktes Bewusstsein für die Komplexität unseres Berufsalltags ab, sowie der Wusch, sich bei aller Informationsflut auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Hier können digitale Lösungen hilfreich, aber eben auch hinderlich sein. Ein praktisches Beispiel: Verschiedene Dateiformate zu bündeln erweist sich zuweilen als sehr umständlich, wohingegen die Büroklammer sinnbildlich für eine analoge „smart solution“ steht. Lose Informationsträger verschiedenster Quellen können problemlos zusammengefasst, der sekundäre Informationsgehalt – dicke des Stapels, Qualität des Papiers, Dokumentformate – auf einen Blick erfasst, die Reihenfolge des Bündels mit wenigen Handgriffen verändert oder erweitert werden. Das schafft Übersicht und ist smart.
Dieser direkte, taktile Umgang mit Information hat natürlich enge Grenzen, ist nicht skalierbar und für big data schon gar nicht zu gebrauchen. Dafür gibt es dann wieder andere smart solutions. Die Sonderschau kommentiert Neuerungen in beiden Bereichen, smarte analoge Werkzeuge, smarte digitale Lösungen, und solche, die zwischen beiden Welten vermitteln.
1. SPACE
Büro vs. Heimarbeit
Als die Technologisierung und Digitalisierung ökonomischer Prozesse in den 1980er Jahren langsam Fahrt aufnahm, wurden bestehende räumliche Konzentrationen sofort in Frage gestellt: Leben wir unter diesen neuen Bedingungen zukünftig noch in der Stadt? Brauchen wir noch Orte der Arbeit? Findet – dank Informations- und Kommunikationstechnologie – in Zukunft nicht alles überall gleichzeitig statt? Heute wissen wir, dass sich diese Visionen nicht unbedingt ins Gegenteil verkehrt hat, sich jedoch gänzlich anders entwickelte, als gedacht. Ja, wir arbeiten zu Hause. Und trotzdem arbeiten wir auch im Büro. Und wenn wir abends nach Hause kommen, arbeiten wir einfach weiter. Arbeitsorte grenzen sich immer weniger voneinander ab. Der Übergang von einem zum anderen ist fließend. Während das Büro die Basis ist, die ein optimales Arbeitsumfeld bietet, um die Abläufe und die Kommunikation des Alltags bestmöglich zu spiegeln, könnte man das Home Office als das unterstützende Büro beschreiben, das sowohl Entlastung als auch Erweiterung bietet. Hinzu kommen noch die Orte und Räume, die die notwendigen Verbindungen beider Büros darstellen. Das Auto. Das Café. Der Park. So viele Telefonkonferenzen finden schon heute hier statt, obwohl die Bedingungen alles andere als optimal sind.
Smart ist, zukünftig die Verbindung all dieser Orte als Abbild der gelebten Arbeitsräume zu begreifen, die unterschiedliche Anforderungen an die Büronutzerinnen und -nutzer stellen und einfordern.
Mein Schreibtisch vs. Schreibtisch-Pool
Immer mehr Firmen stellen ihre räumliche Büroorganisation auf flexible Arbeitsplätze um. Natürlich geht es dabei nicht nur um die Aktivierung der Angestellten sich agiler mit Kollegen zu vernetzen, sondern auch um die Reduzierung der Bürofläche und somit Einsparung von Kosten. Da es immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt, die nicht jeden Tag im Büro sind, muss das Büro auch nicht mehr so groß sein, dass alle darin Platz finden. Die meisten Arbeitgeber folgen also lediglich der flexiblen Ausgestaltung der Büroräume, um in (wirtschaftlich) sicheren Zeiten ein freieres Verständnis von miteinander Arbeiten, von Abwechslung und Flexibilität zu fördern (und zu fordern). Dabei hat auch ein fixer Arbeitsplatz nach wie vor Vorteile: In unsicheren Zeiten ist ein sicherer physischer Arbeitsplatz im bewährten Umfeld von bekannten Gesichtern eine Insel der Gewissheit, die mit der Möglichkeit einer gewissen Personalisierung einhergeht (es entstehen sog. „Schreibtischbiotope“). Gleichzeitig zeigt sich im Drang nach Flexibilisierung immer häufiger die soziale Fallhöhe des Arbeitsumfelds. Desk-Sharing im Großraumbüro führt eher zu Ablenkung, Misstrauen und abnehmender Kooperationsbereitschaft unter Kolleginnen und Kollegen. Smart ist dagegen eine gute Mischung aus eigenen Arbeitsplätzen und offenen Arrangements, die unterschiedlich genutzt und verwendet werden können. Und solange sich noch die Hierarchie in der Büroorganisation widerspiegelt, wird die Akzeptanz für zusätzliche Flexibilität nicht besonders hoch sein. Nur wenn die Chefs flexibel arbeiten, machen das auch die Angestellten. Und umgekehrt.
Wegeleitsystem vs. Navigationssystem
Heute nutzen ca. 70% eine Navigationsapp des Smartphones zur Orientierung in der Stadt. Ohne GoogleMaps, Apple Maps oder Waze ist ein Leben im Alltag zwar noch möglich, für viele aber anscheinend schon (fast) undenkbar geworden. Immer häufiger können Navigationsapps schon in Gebäuden wie Flughäfen, Fußballstadien oder Einkaufszentren helfen, wo sich sonst schnell Orientierungslosigkeit einstellt. Wird die Navigation per Smartphone in Zukunft auch in Büros Einzug halten? Bisher herrschen hier noch klassische, statische Wegeleitsysteme vor. Zwar können Räume online reserviert werden, aber ein Konferenzraum bleibt Konferenzraum, der buchbar oder nicht-buchbar ist. Eine Nutzungsänderung des Raums an sich ist dabei nicht vorgesehen. Da Büros inzwischen aber zu einer Ansammlung von temporären Spezialräumen und -zonen geworden sind, ist eine transparente, tageszeitabhängige Zuordnung von Raumnutzungen unabdingbar. Smart ist eine In-House Navigation, wenn sie on-the-go funktioniert. Dann wird nämlich das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer abgebildet: Aus der Küche wird schnell der Konferenzraum, aus der Bibliothek der Eventraum und aus der Rezeption die Bar für den After-Work-Drink. Das lässt sich per Smartphone besser regeln, als wenn man überall im Büro ständig neue Zettel mit Pfeilen klebt.
Büroraum vs. Funktionszonen
Das normale Büro ist völlig okay. Trotzdem ist es vom Aussterben bedroht. Chillout-Zone, Spiel-Areal, Telefonkabine, Konferenz-Space, Silent-Room und natürlich der Meeting-Point. Jeder Funktion einen eigenen Raum. Jedem Raum eine designierte Funktion. Die Zeit am eigenen Schreibtisch wird logischerweise immer kürzer, der Aufenthalt in den Funktionsräumen immer länger. Insgesamt aber reduziert sich die Zeit in jeder dieser Raumeinheiten. Der Büroalltag ist somit eine Summe aus unterschiedlichen Aufgaben in unterschiedlichen Räumen. So war es früher auch schon, nur waren die Funktionsräume nicht spezifisch (möbliert) und vor allem undogmatisch(er) bezeichnet. Ist der spezifische Funktionsraum also nur die eine Seite der Medaille und das Allzweckbüro die andere? Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte: Viel hängt von den Vorstellungen über zukünftige technische Entwicklungen ab. Für Elon Musk (TESLA und SpaceX) zum Beispiel ist die Vision klar: Mit seiner Firma Neuralink plant er die Verknüpfung des menschlichen Gehirns mit künstlicher Intelligenz. Dann braucht es nur noch eine funktionierende Schnittstelle, um effizient die Tagesaufgaben abzuarbeiten. Dies wäre dann der Inbegriff eines allumfassenden Spezialraumes. Aber ganz ehrlich, ist das dann smart? Smart ist doch vielmehr, wenn wir überall eine Schnittstelle nutzen könnten, die den Zugriff auf die benötigten Informationen und Daten jederzeit und an jedem Ort ermöglicht – egal ob beim Tischfußball oder in der Telefonkabine.
2. WELLBEING
Sitzen vs. Stehen, Liegen, Laufen
Mit 10.000 Schritten pro Tag wird die Gesundheit des Menschen erheblich verbessert. Das ist ganz schön viel. Wer soll bei dem ganzen Gelaufe denn dann die ganze Arbeit wegschaffen? Zum Glück handelt es sich bei den 10.000 Schritten um einen Mythos aus der Werbung, die im Vorfeld der olympischen Sommerspiele in Tokio im Jahre 1964 die Hauptstadtbewohner zu mehr Bewegung, nun ja, bewegen sollte. Doch aktuelle Studien setzen die Zahl auch nur etwas niedriger an: So zwischen 6.000-8.000 Schritte bedarf der gesunde Körper am Tag. Im Durchschnitt gehen Büroangestellte übrigens nur 1.500 Schritte am Tag. Schließlich sitzen sie den halben Tag in Meetings, am Schreibtisch, beim Essen, beim Pendeln im Auto oder vor dem smarten TV zu Hause. Über 60 Millionen Fehltage gibt es allein in Deutschland wegen Rückenbeschwerden. Dabei ist Abhilfe einfach möglich: Sitzen, Stehen, Liegen, Laufen. In der Abwechslung liegt die heilende Kraft für den Rücken. Und dies ist dank sensorischer Überwachung und individueller Anforderungen immer leichter möglich. Die Smartwatch trackt unsere Schritte und liefert uns jederzeit Bericht über unser Bewegungsprofil. Leider lassen wir uns aber nur allzu ungern überwachen. Smart ist in diesem Fall, wer es trotzdem tut.
Raumklima vs. Mikroklima
Der Klimawandel macht sich immer stärker auch im Gebäudemanagement bemerkbar. Gebäude mit immer mehr Glas und weniger Verschattung in Kombination mit einer Zunahme der Sonnen- und Hitzetage sowie der Anstieg der Durchschnittstemperatur führen zu besonderen Herausforderungen, um in Büroräumen ein arbeitsfreundliches Klima herzustellen. Stellen Sie sich nun vor, in Zukunft würde aber gar nicht mehr das Gebäude klimatechnisch versorgt werden müssen, weil sie das selbst übernehmen: Ihre eigene Klimadrohne begleitet sie ständig von Raum zu Raum, von Besprechung zu Besprechung. Auf diese Weise hätten sie immer und überall das perfekte Klima, nicht im Raum, sondern am Körper. Der Vorteil wäre, dass jeder Teilnehmer einer Besprechung immer das persönlich präferierte Klima um sich hätte und nicht, wie sonst üblich, eine bauliche Klimatisierung, die zwar auf hitzige Besprechungsatmosphären reagiert, aber nicht auf individuelle Präferenzen. Vorbei wären die Zeiten, in denen nach einer intensiven Besprechung die Luft im Raum steht, es ständig Ärger übers Lüften oder Heizen geben würde. Und da der Klimaroboter auch vor der Tür funktioniert, würden noch nicht mal mehr beim Rauchen die Finger abfrieren. Neben diesen Utopien mutet der smarte Bürostuhl schon deutlich konkreter an. Zu den üblichen ergonomischen Finessen bietet der Stuhl Ventilatoren und Heizelemente und kommuniziert über WLAN oder Bluetooth mit der zentralen Klimaanlage, um entsprechend schnell auf veränderte klimatische Anforderungen reagieren zu können. Die smarte Folge ist eine effiziente und damit kostensparende Klimatisierung und viel Spaß bei der Justierung und Steuerung der Ventilatoren zur Überbrückung einer enervierenden Sitzung.
Schallschutz vs. Kopfhörer
Wenn jemand EarPods (zum Beispiel Apples AirPods) im Büro trägt – was im Übrigen vor allem in Großraumbüros immer häufiger passiert – gibt es dafür mehrere Gründe. 1. eine Telefonkonferenz, 2. Musik- oder Podcasthören, 3. Vorgeben 1. zu tun, um in Ruhe gelassen zu werden, 4. Vergesslichkeit. Gerade der Fake-Call (3.) tritt immer häufiger auf, weil das Gewusel im Büro – permanent unter Beobachtung stehen, permanent unter Strom stehen – anstrengend und für intellektuelle Tätigkeiten unproduktiv ist. AirPods machen heute das, was jahrzehntelang die Aufgabe von Bürowänden war: eine (private) Atmosphäre der Abgeschiedenheit zu schaffen. Heute, im wandlosen Großraumbüro scheint ein Arbeitsalltag ohne schnurlose Kopfhörer für einige schon nicht mehr vorstellbar: “We moved from offices to an open plan two years ago, and wireless headphones are why I haven’t quit,” so zum Beispiel ein Angestellter einer Medienfirma in New York.
Dass die akustische Belästigung auf diese Weise in den Griff zu kriegen ist, ist das eine Ergebnis, dass die Bereitschaft zur Kollaboration, zum Face-to-Face Austausch mit dem Auftreten von Großraumbüros rapide gesunken ist, das andere. Und das ist jetzt wirklich interessant: Die Gründe für den rasanten Anstieg wurden immer mit den Anforderungen moderner Arbeitsgesellschaften verbunden: Interdisziplinarität, Kommunikation, Teamwork. Doch gerade Kollaboration und Kommunikation funktioniert(e) in Zeiten von Einzel- oder Doppelbüros besser. Im Großraumbüro kommt noch die visuelle Belastung hinzu. Googles Brille kann zwar eine zusätzliche digitale Informationsschicht auf den Büroalltag applizieren, Sichtschutz biete sie aber nicht. Vielleicht sind analoge Wände im digitalen Zeitalter manchmal doch ziemlich smart.
Pausenbrot vs. Büro-Buffet
„Essen ist was für Weicheier“, so Gordon Gekko 1987 im Hollywood-Blockbuster Wall Street. Damit prognostizierte der knallharte Banker gerade für Nordamerika erstaunlich gut einen heute immer noch gültigen Trend. Vor allem für Büroangestellte kommt das Mittagessen eher einem Fütterungsritual als einer Speisezeremonie gleich. Kein Wunder, wenn Studien zufolge zwischen 50-60% der US-amerikanischen Angestellten eher am Schreibtisch essen und vor allem allein. Die Am-Schreibtisch-Esser nehmen in der Regel zunächst einmal kleinere, wenig nahrhafte Speisen zu sich und versuchen dies, im Laufe des Tages mit Süßigkeiten oder sonstigen Snacks zu kompensieren. Die Zufriedenheit am Arbeitsplatz sinkt so dramatisch im Vergleich zu Angestellten, die mit Kolleginnen und Kollegen essen, dabei Small Talk führen und dann (in der Regel motiviert) an den Arbeitsplatz zurückkehren. Auch die Folgen für Schreibtisch und Rechner sind wohl den meisten Leserinnen und Lesern bekannt: Krümel, Spritzer und Essensreste, die mit fettigen Fingern von Tastatur und Unterlagen entfernt werden wollen. Vor diesem Hintergrund ist es ungleich smarter, dass immer mehr Büros mit hochwertigen Küchen ausgestattet werden. Manchmal versorgen sogar Köche die Angestellten mit kulinarischen Freuden für jeglichen Geschmack. Im Silicon Valley hingegen gehen die Effizienzpraktiken der Start-Up’ler inzwischen soweit, dass durch Gemüseshakes und Vitaminpräparate, die über den Tag verteilt eingenommen werden, beim Erhalt von maximaler Leistungsfähigkeit überhaupt keine Zeit mehr für das Essen „verloren“ wird. Ob das so smart ist?
3. COMMUNICATION
Analog vs. Digital
Eine Beobachtung aus einer der aktuell innovativsten Büroatmosphären, dem Design Lab von Google im Silicon Valley: lichtdurchflutete Räume mit unzähligen Stehtischen für Gespräche, Diskussionen und Präsentationen. An den Wänden und auf den Tischen liegen und hängen Designvarianten, Materialproben, Farbspektren. Workshopräume und Galerien sind mit Materialbibliotheken zum Vergleichen, Verändern, Anpassen ausgestattet. Überall Bücherwände, die sowohl Designklassiker als auch aktuelle Inspirationen bereithalten. Das Physische triumphiert hier über das Digitale. Vielleicht ist das auch kein Wunder, wenn die daraus entstehenden Produkte wie der Google Assistant einmal Millionen Eigenheime und Büros zieren sollen, sich also ständig messen müssen im Designwettkampf der Gerätschaften. Und doch ist es interessant, dass im Design Labor der wichtigsten Digitalfirma der Gegenwart, so gut wie alles erst einmal analog abzulaufen scheint. Laptops, Monitore, Handys sind kaum bis gar nicht zu sehen. Der Austausch, die Diskussion, der Kontakt mit und durch den Designer machen den Unterschied. Smart bedeutet hier, Materialität, Zugänglichkeit, Offenheit. Smart sind hier bei Google aber auch die sogenannten Human Refueling Stations: Rauminstallationen zum Rückzug und zum Meditieren, um wieder aufzuladen, den Kopf frei zu bekommen und die Gedanken zu fokussieren, unterlegt mit individualisierbaren Sound- und Lichtdesigns. Vielleicht übertrieben aber für die Nutzerinnen und Nutzer anscheinend sehr bekömmlich.
Archiv vs. Datenraum
Früher gab es Archive mit kilometerlangen Regalen, heute Serverräume. Und während die Regale irgendwann einmal voll sind, sind die Speicherkapazitäten des digitalen Zeitalters schier unendlich: Bis 2025 könnte sich das weltweite Datenvolumen noch einmal verzehnfachen, auf dann 163 Zettabyte. Das ist eine 163 mit 21 Nullen! Auch wenn wir dieser Prognose nicht blind vertrauen sollten (vielleicht eher in Richtung 22 Nullen?), wird deutlich, dass sich die Perspektive auf das Archiv grundlegend verändern wird. Wenn man das Archiv nach Foucault als das „Spiel der Regeln“ bezeichnet, so muss dieses Regelwerk durch das Aufkommen von digitalen Archiven neu definiert werden. Die digitale Verarbeitung von Daten erfordert eine neue Logik beziehungsweise ein neues Konzept des Archivs, nämlich eins, das Daten als Information aufrechterhält. Man könnte auch sagen, Daten sind nur relevant, wenn die darin verfügbare Information jederzeit auffindbar ist. Doch ein Archiv ist auch ein Ort stetiger Transformation von Wissen: sei es durch Verfall, Vergessen oder Zerstörung. Wurden bisher Archiven die drei grundlegenden Aufgaben des Ansammelns, Archivierens und Präsentierens zugeschrieben, bieten heutige Technologien und Entwicklungen die Möglichkeiten des Vernetzens, der Kollaboration und des Verteilens — und während Archive bisher eher verschlossene und Fachpublikum vorbehaltene Orte waren, könnten neue Technologien auch für deren Öffnung für die breite Öffentlichkeit sorgen. Das ideale Archiv der Zukunft bereitet Inhalte so auf, dass ein Zugriff für Nutzerinnen und Nutzer jederzeit zu jedem Zweck möglich ist. Und das ist dann smart. Das gibt es so heute leider noch recht selten.
Flipchart vs. Smartboard
Das Flipchart ist eine Allzweckwaffe, die noch nicht mal durch das Smartboard verdrängt worden ist. Auch wenn sich gefühlt jede(r) NutzerIn schon mal die Finger beim Aufhängen der neuen Papierrolle eingeklemmt hat, ist das Ergebnis eines vollständig mit Flipchart-Blättern zugehängten Seminarraumes doch einzigartig. Allein dafür ist das Smartboard keine Alternative. Aber für andere Dinge: Keine Papierverschwendung, direkter Transfer zum Computer, Zugriff für alle Teilnehmer und ein digitales Archiv. Nahezu jedes Büro (und inzwischen auch fast jedes Schulzimmer) hat heute bereits ein Smartboard. Auch wenn so einige Boards durch Permanent-Marker verunstaltet wurden und das eine oder andere wohl auch deswegen nur in der Ecke rumsteht, sind sie aus dem Büroalltag nicht wegzudenken. Analog und digital passen heute und in Zukunft perfekt zusammen. Das bestätigen auch aktuelle Erkenntnisse der Kognitionsforschung: Wir Menschen lernen über alle Sinne. Wer sich also beim Lernen oder der Projektarbeit künstlich beschränkt, ist tendenziell benachteiligt. Smart ist also, wer nicht nur redundante Systeme hat und diese auch nutzt, je nach Kontext und Wissensstand, sondern sich nicht auf ein Medium beschränkt. Gute Ergebnisse werden dann erzielt, wenn das ganze Portfolio an Medien und Materialien zum vollen Einsatz kommt.
Flurgespräch vs. Telefonkonferenz
Mit den Pixar Headquarters entwickelte Steve Jobs den Prototypen eines Büros, das sich in seiner räumlichen Ausgestaltung vor allem an der Förderung von Möglichkeiten der zufälligen Begegnung orientierte. Bis heute gilt Pixar als eine der kreativsten Firmen, deren Erfolg zu einem wesentlichen Teil der Architektur zugeschrieben werden kann. Auch Steve Jobs’ Vermächtnis – das vor rund 1,5 Jahren eröffnete Apple Hauptquartier – hat diesen Ansatz als Leitmotiv verinnerlicht. Der Infinite Loop (Endlosschleife), mit einem 12 Hektar großen Park im Inneren des Loops, kann als eine Wandelhalle gelesen werden, um spontane Begegnungen und gemeinsame Fußwege zu ermöglichen. Der positive Effekt dieser zufallsgesteuerten Kommunikation wird mittlerweile auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt. Wo finden heute entscheidende Durchbrüche, wichtige Ideen oder Innovationen statt? Nicht am Mikroskop oder vorm Computer, sondern am Konferenztisch, am Getränkeautomaten und im Flurgespräch. Direkte Kommunikation und Austausch über Projekte entstehen also über spezifische räumliche Settings, die zufällige Begegnungen ermöglichen. Neben Kommunikationsräumen brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber auch Freizeit, die zum Austausch zur Verfügung steht. Wenn immer mehr Meetings anberaumt werden, unterstützt das ein spontanes Zusammentreffen eher nicht. Smart ist also, wenn alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die räumlichen und zeitlichen Möglichkeiten eingeräumt bekommen, sich in unvorhersehbaren Räumen zu ebensolchen Zeiten treffen zu können.